Kann die Fourier-Transformation (FFT) die Oszilloskopmessung ersetzen?
Es wird oft argumentiert, dass man die direkte Messung der Sprungantwort auch durch die mathematische Simulation mittels Fourier-Transformation ersetzen könne. Auf der einen Seite haben wir bei der Sprungmessung den realen Stimulus "Spannungssprung" von Null zur vorgegebenen Gleichspannung. Dieser Stimulus - und nur dieser Stimulus - regt die Chassis an. Auf der anderen Seite haben wir das Modell "Fourieranalyse", eine theoretische Methode, mit der unter bestimmten Modellannahmen ermittelt wird, aus welchen Schallwellen man den realen Stimulus bilden könnte, wenn man sie in Betrag und Zeit kumulieren würde. Das Ergebnis der Fourieranalyse ist ein theoretisches Konstrukt, kein realer Stimulus, regt daher auch kein Chassis an.
Wenn man aus der Sprungantwort durch Differenzieren die Pulsantwort berechnet (andersherum ist die Sprungantwort das Integral der Pulsantwort über die Zeit), dann kann man auch die Pulsantwort mit einem Sprung oder einem Rechtecksignal falten. Insofern lassen sich bei einem LTI-System aus der Pulsantwort die Ergebnisse berechnen, egal ob es nun ein Sprung, ein Rechtecksignal, ein Halbsinus, ein Cosinusburst usw. sind, mit dem der Puls gefaltet wird. Das ist eindeutig, aber beschränkt gültig auf lineare und zeitinvariante Systeme.
Die Grenzen der Theorie
An dieser Stelle müssen wir bereits die erste Einschränkung vornehmen. Zwar ist ein Lautsprecher zeitinvariant, sonst könnte man keine Filter setzen. Aber linear ist er bei genauer Betrachtung nicht. Wir haben das Problem der Nichtlinearitäten im Antrieb und im gesamten Bewegungsablauf und zusätzlich das des Hublimits und der thermischen Kompression. Nahezu jedes Teil eines Chassis ist nichtlinear. Die Aufhängungen haben eine Nachgiebigkeit, die einer gewissen Funktion entspricht, zumindest theoretisch. Sie haben aber auch ein Resonanzverhalten. Sie erzeugen Eigenschwingungen, die sich als Körperschall im Material, in damit verbundene Materialien und in der Umgebung in Form von Schallwellen ausbreiten, die reflektiert werden usw. Die Wechselwirkung mit den anderen Bestandteilen des Chassis sind vielfältig, komplex, chaotisch! Auch die Membran und das Gehäuse fügen Nichtlinearitäten hinzu.
Hier kann die Annahme eines linearen Systems höchstens näherungsweise erfolgen und dies führt zu Abweichungen der Simulation von einer realen Messung mit echter Sprunganregung.
Möglichkeiten und Grenzen der Fourier-Transformation
Die Fouriertransformation selbst ist im Prinzip ein Rechenvorgang, der die Pulsantwort mit theoretisch unendlich langen (praktisch geht es auch kürzer) Sinusfrequenzen faltet. Daraus ergeben sich für jede Frequenz eingeschwungene Zustände mit einer jeweiligen Amplitude und Phasenlage. Und daraus lassen sich Frequenz- und Phasengang zeichnen. Mit den Methoden einer Fast Fouriertransformation muss man nicht mehr mühsam die Testsignale erzeugen und messen, es geht mathematisch unkomplizierter.
Damit ist auch klar, dass die FFT keine Aussagen über Einschwingzustände zulässt. Sie ist nur ein Hilfsmittel, mehr nicht, eine weitere Art der Darstellungsmöglichkeit bei der Systemanalyse. Nun ist Musik kein eingeschwungener Zustand, insofern macht die FFT nur Sinn, wenn man ein Spektrum bezüglich der Transienten im Frequenzgang (quasi mit Hüllkurve) betrachten will. Man erkennt also mit der FFT nur einen Teilausschnitt von dem, was man wirklich hört.
Der Stimulus kennt nur einen (bzw. beim Rechteck zwei) Spannungswechsel, nämlich den Spannungssprung am Anfang und den Spannungsabfall am Ende. Dazwischen liegt Gleichspannung! Der Gleichspannungszustand ist aber kein Stimulus für einen elektrodynamischen Wandler, nur der Spannungswechsel kann dies sein.
Nur weil eine Fourieranalyse ein bestimmtes Ergebnis in Form von Wellen (Wechselspannung) ausgibt, bedeutet das nicht, dass die Gleichspannung zu einer Wechselspannung wird. Hier wird aus zwei völlig unterschiedlichen getrennten Modell-Ebenen ein unzulässiger Umkehrschluss gebildet. Theoretisch kann der Stimulus aus einem Konglomerat von bestimmten Wechselspannungen / Frequenzen gebildet werden. Der reale Stimulus wird dadurch aber nicht zu einer Wechselspannung (Ein/Aus ausgenommen). Die reale Messung in dem folgenden Beispiel ist der Beweis. Es gibt keinen Unterschied in der Schallantwort der Chassis, wenn man mit Sprung oder 30 Hz-Rechteck misst.
Beispiel:
Der Vergleich von Sprungantworten mit Original DC-Sprung-Messung und mit mathematischer Ableitung aus Messsignalen, die den Lautsprecher im quasi-eingeschwungenen Verhalten messen.
Im folgenden Diagramm sehen wir den Vergleich zwischen einer Step-Messung (Blau) und einer Rechteckmessung (Schwarz / Frequenz = 30 Hz). Beide Signale regen den Lautsprecher gleichermaßen sprunghaft an. Wir sehen deutlich den Unterschied zwischen einer Sprungantwort aus der Nullstellung heraus gegenüber der aus dem schwingenden Verhalten. Bei der ersten Sprunganregung starten die Chassis mit einer Anfangsgeschwindigkeit v = 0. Bei der zweiten, invertierten Sprunganregung starten die Chassis von der Vornestellung (+DC mit der Anfangsgeschwindigkeit v = 0) hin zur Nulllinie und darüber hinaus zur rückwärtigen Stellung (-DC) und erreichen im Bereich der Nulllinie die maximale Geschwindigkeit der Membranbewegung. Die Startgeschwindigkeiten der beiden Sprungantworten sind demzufolge:
- Bei der ersten Sprungantwort v = 0
- Bei der zweiten Sprungantwort v = max.
Und genau darin ist der Unterschied zu verstehen zwischen Sprungantwortmessungen mit einem echten Oszilloskopsprung und der Ableitung aus einem Messsignal, bei dem der Lautsprecher aus dem schwingenden Zustand heraus gemessen wird.
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Myro Amur RSD
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