Das Einschwingen

Version vom 20. Januar 2019, 21:07 Uhr von Wonneproppen (Diskussion | Beiträge) (Was kann man technisch korrigieren?)

Ein Lautsprecher versucht Transienten zu reproduzieren, indem er einschwingt. Dieses Einschwingen erfolgt gemäß seiner Übertragungsfunktion, sofern es keine Nichtlinearitäten gibt, z.B. Resonanzen. Chassis verhalten sich bei der Reproduktion einer ersten Halbwelle völlig anders als im eingeschwungenen Zustand. Dies liegt an der Unfähigkeit von elektroakustischen Wandlern, die erste Halbwelle einer Schwingung (z.B. Sinus, Sinusburst oder auch Musiksignal) voll auszubilden. Genau genommen kann ein Chassis nur bei exakt einer einzigen Frequenz die erste Halbwelle mit der richtigen Frequenz wiedergeben! Die Übertragungsfunktion beschreibt das Einschwingverhalten und den Unterschied der ersten zu den nachfolgenden Halbwellen, dem quasi-eingeschwungenen Zustand. Sie ist gekennzeichnet durch einen Hochpass beim Tieftöner und einen Tiefpass beim Hochtöner, welche beide die Grenzen der Bandbreite des Lautsprechers bestimmen. Und beide zeigen ein entgegengesetztes Verhalten bei den Einschwingverzerrungen der Signale. Das bedeutet, dass während des Einschwingens die tiefen Frequenzen (= Hochpass) und die hohen Frequenzen (= Tiefpass) abgeschnitten werden und Lautsprecher insgesamt eine geringere Bandbreite besitzt als der Frequenzgang es aufzeigt. Bei komplexen Resonanzerscheinungen versagt eine einfache Übertragungsfunktion allerdings völlig. Im Prinzip kann ein Lautsprecher nur dann über die gesamte (oder seine mittlere) Bandbreite richtig einschwingen (wandeln), wenn er dabei ein rechteck- oder rechteckähnliches Verhalten zeigt. Nur dann wären auch die ersten Halbwellen innerhalb dieser Bandbreite in Amplitude und Phase korrekt.
Den Begriff Transienten verwendet man für Schallereignisse. Transienten sind Initialgeräusche mit einem breiten Frequenzspektrum, deren Signalformen von Natur aus keiner vorgegebenen Definition entsprechen (sie sind in keiner Weise bestimmt / berechnet). Das Einschwingen des technischen Systems Lautsprecher wird nicht Transiente genannt.
Die Zeit bzw. Anzahl der Schwingungen, die ein Lautsprecher braucht, bis er dem Eingangssignal folgen kann, nennt man Einschwingvorgang. Die Zeit bzw. Anzahl der Schwingungen, die ein Lautsprecher dem Eingangssignal folgt, nennt man eingeschwungenen Zustand.
Verzerrungen im Einschwingen hört man im Einschwingen, nicht beim Dauerton!
Der Sinus als kurzes Signal (≈ 0,5 oder 1 Periode) ist bei verzerrter Wiedergabe tatsächlich gehörtechnisch nicht mehr als solcher zu erkennen, bzw. ist er ein völlig anderes, künstliches Geräusch. Das ist unmittelbar beim Hören während der Messung zu erleben. Als Dauerton ist er hingegen zu hören, da es dann diese Einschwingverzerrungen nicht mehr gibt. Hörbar ist dieses Verhalten auch eindeutig mit Rauschen oder ebenfalls sehr deutlich mit Applaus. Schaltet man dabei zwischen verschiedenen Lautsprechern um, wird man hören, dass der Applaus extrem variiert, weil jeder Lautsprecher ein anderes Verzerrungsprofil hat. Dass steil gefilterte Lautsprecher mitunter lahm und leblos klingen, ist ein Beweis dafür, dass die Einschwingvorgänge verzerrt werden. Die Impulse verlieren an Lautstärke und Kontur und verändern den Klang ins Künstliche.

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Schallstruktur eines Pistolenschusses
Quelle: Fa. Manger

Man geht zumeist davon aus, dass der Lautsprecher bei Sprunganregung derart einschwingt, dass er die Charakteristik (Frequenzgang etc.) zeigt, die er im eingeschwungenen Zustand zeigt. Das ist nicht der Fall! Für die eingeschwungene Charakteristik (Amplitude) ist der vollständige Schwingungsvorgang bis zum Erreichen des eingeschwungenen Zustands notwendig. Wenn aber schon nach dem Erreichen des ersten maximalen Spannungswertes des Sprungs keine Spannungsänderung im Sinne von Wechselspannung anliegt, endet damit der Antrieb des Chassis. In der Natur gibt es solche Anregungen, zum Beispiel:

  • Explosionen, Pistolenschüsse etc.
  • Percussioninstrumente mit Schwingungsdämpfung (kaum Nachschwingen)
  • Händeklatschen / Applaus
  • u.v.m.

Das Chassis schwingt dann nur noch über bzw. nach. Dies tut es zwar in Richtung seiner Resonanzfrequenz, aber ohne nennenswerten Schalldruck abzugeben, vor allem keinen, der noch wenige Millisekunden später hinzukommt. Daher ist die Reaktion des Chassis viel eher abgeschlossen. Wenn man einen Lautsprecher mit einer sprunghaften Signalform ohne weitere Schwingungen anregt, erreicht er ebenfalls nicht den eingeschwungenen Zustand und alle Modelle, die dies annehmen, treffen nicht zu. Es fehlt die "Rückwärtsschwingung" mit dem Nulldurchgang bei komplett beschleunigter Masse und somit die vollständige Schwingung des Feder-Masse-Systems. Erst wenn dieser Vorgang durchschritten ist, kann man von einem eingeschwungenen Zustand sprechen. Manche Lautsprecher erreichen diesen (je nach Güte) sogar erst noch später.

Hochtöner

Beim dynamischen Musiksignal geht es um die Schnelligkeit. Die Anstiegsflanken und -zeiten der Impulse hängen von der Fähigkeit des Hochtöners ab, extrem schnell einzuschwingen. Beim Hochtöner, am oberen Übertragungsende, ist insbesondere die Resonanzfrequenz der Membran ausschlaggebend. Doch wenn ein Hochtöner im Frequenzgangdiagramm sehr hohe Frequenzen überträgt, heißt das noch nicht, dass er schnell ist. Bei vielen Hochtönern verläuft der Frequenzgang nur deshalb bis 20 kHz, weil Tiefpass und Membranresonanz derart abgestimmt worden sind, dass sich daraus ein nahezu linearer Verlauf im eingeschwungenen Zustand ergibt. Zu erkennen ist das an einem steilen Abfall oberhalb der Resonanzfrequenz, also am Ende des im Frequenzgang sichtbaren Übertragungsbereichs. Ein hoher Hochtonpegel, verursacht durch die Membran-Resonanz, muss dann erst einschwingen, und das dauert zwei bis drei Halbwellen! Das Signal- / Zeitverhalten sieht dabei allerdings meist schon ab 5 bis 10 kHz schlecht aus.
Die Einschwingvorgänge (1. Halbwelle) erfolgen aufgrund des Tiefpassverhaltens nicht mit der Anregungsfrequenz, beinhalten regelmäßig tiefere Frequenzen und die Amplitude liegt deutlich unter dem Wert im eingeschwungenen Zustand. Sie dauern länger als das Eingangssignal und bewirken dadurch eine nacheilende Phase. Klanglich bedeutet das, dass die Hochtonimpulse zu leise und in der Tonhöhe zu tief sind. Der eingeschwungene Frequenzgang gaukelt uns aber etwas ganz anderes vor! Wenn der Tiefpass des Systems erst bei sehr hohen Frequenzen wirkt, wie zum Beispiel bei der Myro Amur D mit dem Diamanthochtöner, dann ist das Einschwingen (die Startflanke der Sprungantwort) derart schnell, dass man nahezu eine Rechteckflanke bekommt. Ein tieferer Tiefpass bewirkt eine Verzögerung der Energie und somit ein zeitlich verzögertes Aufaddieren und somit die typische Rampe eines typischen "zeitrichtigen" Lautsprechers. Den Hochpass sieht man natürlich immer noch im Abfallen des Graphen. Dazwischen ist der Lautsprecher sehr breitbandig phasenlinear.

Welche Qualität muss eine Übertragungsstrecke haben, wenn ein Mensch 16 kHz bewusst und ohne Einschränkung wahrnimmt?
Die Wirkung auf die Signalform und das Timing durch Filter oder den natürlichen Tiefpass eines Hochtöners reicht mehrere Oktaven tiefer. Um 16 kHz ohne Zeitverschiebung und ohne entsprechende Signalverformung wiedergeben zu können, dürfen alle qualitätsmindernden Phänomene erst oberhalb von 16 kHz wirksam werden. In der Messtechnik hält man einen "Abstand" zum Messobjekt von mindestens 2 - 3 Oktaven, um den Einfluss des Messequipments selbst aus dem Ergebnis heraus zu halten. Ein Hochtöner oder eine Signalquelle müssen demnach ebenfalls 2 - 3 Oktaven "Abstand" zum Hörbereich des Menschen haben. Selbst wenn man den Hörbereich nur bis 16 kHz definierte, käme man bei nur 2 Oktaven Abstand bereits auf 64 kHz. Und das ist knapp bemessen! Hochauflösendes Quellmaterial ist also Pflicht. Ein Hochtöner, der 16 kHz ohne Fehler wiedergibt, ebenfalls. Doch wenn der Hochtöner, wie üblich, bereits bei 20 - 30 kHz seine Membranresonanz hat und der Einfluss des Tiefpasses bereits in den oberen Mitten beginnt, wird man kaum in der Lage sein, Qualitätsunterschiede der Signalquellen zu detektieren.

Bemerkenswert sind die Angaben der oberen Grenzfrequenz (-3 dB) bei einigen Herstellern. So wird zum Beispiel für den Accuton BD20 (20 mm Diamantmembran) eine obere Grenzfrequenz von 100 kHz deklariert. Tatsächlich, nach Messungen des Chassis-Herstellers, liegt der -3 dB Punkt aber bei ≈ 44 kHz, das allerdings ohne eine sich überlagernde Haupt-Membranresonanz. Diese liegt bei ≈ 60 kHz (ca. -10 dB Punkt / je nach Mikro). Bei der Angabe der 100 kHz hat der Herstellers also um mehr als eine Oktave "geschönt" !

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Myro Purus 1.1

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Myro Subtronik

Tieftöner

Im Tiefbassbereich bewegen wir uns im physikalischen Grenzbereich der in ihren geometrischen Dimensionen begrenzten Wandler und der zur Vermeidung akustischer Kurzschlüsse notwendigen Gehäuse. Tiefen Bass zu erzeugen, ist für einen Lautsprecherentwickler eine banale Aufgabe. Aber einen Kunden zu finden für eine so große Box, ist eine sehr schwierige Aufgabe. Es gibt seitens der Anwender immer Beschränkungen bezüglich der Größe eines Lautsprechers und auch beim Preis. Das "Ideal" der kleinen, schlanken, hübschen Standbox hat zur Folge, dass, wenn man dieser nicht unbedeutenden Nachfrage entsprechen will, man bei diesen physikalischen Einschränkungen zwar einen im Prinzip zeitrichtigen Lautsprecher bauen kann (Zeitgleichheit des Einschwingen und lineare Phase), allerdings fehlt diesen Lautsprechern die Fähigkeit, eine der Dynamik des Mittelhochtonbereichs gerecht werdende Bassdynamik (vgl. erste Halbwelle) zu erzeugen. Doch Tieftöner mit großer Verstärkerleistung gegen die hohe Kompression kleiner Gehäusevolumen zur Tiefbasswiedergabe zu zwingen, deformiert nicht nur deren Membran, sondern erhitzt auch deren Schwingspulen. Heiße Schwingspulen werden bei jedem Hitzestoß noch hochohmiger. Das ist eine eingebaute Kompression, da Verstärker an hochohmigen Lasten weniger Leistung abgeben. Man muss man sich das auch noch im Rhythmus vorstellen. Den Frequenzgang im Bass auf hohem Level zu halten ist also nicht das Problem, wohl aber das Einschwingen, die Impulsdynamik.
Mit der Wiedergabe von 20 Hz ist es auch nicht getan. Zur Erzeugung der ersten Halbwelle mit korrekter Amplitude und Frequenz, und damit auch mit linearer Gruppenlaufzeit und Phase, braucht man aus physikalischen Gründen eine riesige Membranfläche. Ein 15 Zöller ist dafür noch lange nicht ausreichend. Die Schallwelle breitet sich mit Schallgeschwindigkeit aus, während die Tieftonmembran sich bewegt. Ein Tieftöner muss dabei mit seiner im Verhältnis zur Wellenlänge kleinen Membran Druck bei einer sich mit ca. 345 m/s schnell entfernenden Schallwelle erzeugen. Das erfordert eine extrem weite Auslenkung zur originalgetreuen Reproduktion gerade der ersten Halbwelle, wie z.B. bei dem Anschlagen einer Bassdrum. Dafür ist selbst der Hub von Langhubchassis völlig unzureichend. Aber schon eine halbe Wellenlänge dauert im Verhältnis zur Schallgeschwindigkeit eine Ewigkeit. Tiefe Frequenzen sind langsame Schwingungen und die Welle verlässt bei tiefen Frequenzen schnell den Bereich der Membranfläche. Das ergibt einen sehr geringen Strahlungswiderstand und eine geringe Effizienz.
Das Bassverhalten wird elementar bestimmt durch den Strahlungswiderstand und den Resonanzfall des schwingenden Systems. Beide Aspekte wirken zusammen und beinhalten Zeitkonstanten, haben also einen zeitlichen Verlauf. Frequenzgangmessungen zeigen nur die Schallamplitudenwerte des eingetretenen Resonanzfalls. Diese werden aufgrund der Zeitkonstante jedoch erst verzögert erreicht. Zuvor, im Einschwingen, verhält sich ein Lautsprecher gemäß dem Strahlungswiderstandsverlauf, resultierend aus Membranfläche und Membranschnelle (Frequenz). Hinzu kommen die Nichtlinearitäten des Antriebs.
Der Amplitudenfrequenzgang am unteren Übertragungsende ist gekennzeichnet durch den zeitlichen Übergang des durch den Strahlungswiderstand bedingten Hochpasses in den durch Strahlungswiderstand und Resonanz bedingten Hochpass. Die Hochpassfunktion eines Lautsprechers ist wesentlich eine Überlagerung von drei Funktionen:

  1. der Funktion des Strahlungswiderstands
  2. der Funktion des mechanischen schwingenden Systems (Resonanzfrequenz)
  3. der elektrischen Funktion (BxL + Schwingspuleninduktivität und ohmscher Widerstand)

Das Feder-Masse-System spielt bei der Ausbildung der ersten Halbwelle eine entscheidende Rolle. Es wird gespannt (Energiespeicherung) und wirkt entgegengesetzt der Antriebsrichtung. An dem Punkt, wo Antriebsenergie und Gegenkraft des Feder-Masse-Systems gleich sind, bewirkt nur noch die Energie der bewegten Masse eine kurzzeitige weitere Vorwärts-Bewegung. Dadurch (Systemresonanz) entsteht zusammen mit dem Strahlungswiderstand die Hochpass-Charakteristik.
Alle Funktionen haben eine Zeitkonstante. Das Einschwingen eines Lautsprechers unterliegt mehrerer komplexer Zeitkonstanten. Wer einen bestimmten Anspruch an das Übertragungsverhalten im Tieftonbereich stellt, muss also genau definieren, was er damit meint. Eine Bassdrum richtig wiederzugeben, erfordert einen gigantisch großen Basslautsprecher mit entsprechenden Gehäusebedingungen. Im Resonanzfall lässt sich der erforderliche Frequenzbereich zwar durch die üblichen Formate erzeugen, sogar Miniboxen könnte man dazu bringen, aber im Einschwingen, dem markantesten und lautesten Moment einer Bassdrum, haben kleine Lautsprecher keine Chance!
Aufgrund des Hochpassverhaltens schwingen Tieftöner mit einer zu schwachen ersten Halbwelle ein. Die erste Halbwelle weist zudem ein Frequenzspektrum auf, dessen tiefste äquivalente Frequenz höher ist als das Anregungssignal und sie weist einen verfrühten Nulldurchgang auf, der auch die voreilende Phase im Phasenfrequenzgang erklärt. Bei der Messung mit einem Sinus-Burst kann man sehen, dass die erste Halbwelle viel kleiner und kürzer ist als die nachfolgenden Wellen. Das bedeutet, Basslautsprecher werden zu Beginn eines Schallereignisses zu tiefen Tönen hin immer schwächer und schwingen erst bei der zweiten Halbwelle auf den Pegel ein, den wir im Amplitudenfrequenzgang-Diagramm sehen können. Die übliche Frequenzgangmessung täuscht uns Schalldruck vor, der im Einschwingen noch gar nicht vorhanden ist.

Beispiel:
Im eingeschwungenen Zustand fällt der Bass bei diesem Lautsprecher bei ca. 75 Hz ab (Frequenzgangmessung). Im Einschwingen mit einer positiven Anregung / Halbwelle ist dies aber bereits ab 300 Hz (oder sogar noch höher) der Fall. In der zugehörigen 3-D Halbwellenmessung ist die Resonanz des schwingenden Systems noch nicht eingeschwungen und der dementsprechende Schalldruckanteil fehlt. Wir sehen hier vor allem den Einfluss des Strahlungswiderstands.

Bei allen Gehäuseabstimmungen, die sich zur Verstärkung des Bass-Schalldrucks eines Resonanzsystems (z.B. Bassreflex, Transmissionline etc.) bedienen, ist diese Täuschung noch viel größer! Ein Resonanzsystem braucht mehrere Halbwellen um einzuschwingen und zusätzlichen Schalldruck zu addieren. Das Verhalten entspricht der Übertragungsfunktion. Die ersten Halbwellen sind allerdings nicht stärker als beim geschlossenen Gehäuse, denn hier wirkt das Resonanzverhalten noch nicht. Es zeigt sich, dass es einen gravierenden Unterschied zwischen dem Einschwingen und dem eingeschwungenem Zustand gibt.

Der Bandpass
Grundsätzlich schwingt ein Bandpass extrem langsam ein. Die im Frequenzgang dargestellte Amplitude wird erst nach mehreren Halbwellen erreicht (frühestens ab der dritten Halbwelle, wobei das kontinuierlich ansteigend ist). Selbst wenn man einen Bandpass-Lautsprecher so platzieren würde, dass die erzeugte Schallwelle zeitgleich mit dem Mittelhochtonsegment starten würde, hätten man in vielen Fällen Probleme mit einer gegenphasigen Polung. Hilfreich für die messtechnische Darstellung des Einschwingverhaltens sind, neben der nicht ganz einfach zu interpretierenden Sprungantwort, die Front-Ansicht von Wasserfalldiagrammen oder noch anschaulicher, Oszilloscope-Messungen mit Sinus-Bursts.
Schauen wir uns das Einschwingverhalten von Instrumenten und Geräuschen an: Bei natürlichen Schallereignissen sind die ersten Halbwellen in der Regel die lautesten. Die nachfolgenden Halbwellen werden mehr oder weniger schnell leiser. Somit haben wir bei den Lautsprechern ein unnatürliches, entgegengesetztes Verhalten. Dieses ist bei Gehäuseabstimmungen mit zusätzlichem Resonanzsystem noch unnatürlicher, da das Verhältnis von ersten zu nachfolgenden Halbwellen noch entgegengesetzter wird. Je besser der gesamte Phasenverlauf eines Lautsprechers im mittleren und oberen Bereich wird (auch im Einschwingen), desto mehr fällt das schlechte Verhalten zu tiefen Tönen hin auf.
Auch in einem geschlossenen Gehäuse haben die Chassis ein zeitlich verzögertes Einschwingen. Die ersten Halbwellen haben unabhängig vom Gehäuse- / Abstimmprinzip eine praktisch immer gleiche Hochpass-Charakteritik, die im Prinzip dem Wirkanteil der Strahlungsimpedanz entspricht.

Das Bassreflexsystem

BR-Imp.10-300 Hz.jpg

Für das Bassreflexprinzip gilt im Prinzip dasselbe wie für den Bandpass. Anhand der Wirkweise kann man zeigen, dass ein solches Resonanzsystem eine gewisse Zeit braucht um einzuschwingen: Ein Bassreflexsystem addiert erst nach zwei bis drei Halbwellen zusätzliche Energie. Die bei natürlichen Instrumenten (oder anderen natürlichen Schallereignissen) besonders lauten ersten Halbwellen profitieren also kaum oder gar nicht von einem Bassreflexsystem. Bei der Impulswiedergabe steht die Schallenergie des Resonanzsystems noch nicht zur Verfügung!
Das Verschließen des Bassreflexrohres verändert an der Impulswiedergabe praktisch nichts. Hörtests zeigen immer wieder, dass geschlossene Systeme ein natürlicheres, echteres Klangbild erzeugen. Voraussetzung dafür ist, dass der Tieftöner ausreichend Energie liefern kann und dessen Abstimmung im Gesamtsystem bruchlos gelingt. Lautsprecher mit sehr kleinen Tieftönern kommen ohne Bassreflex dagegen in der Regel nicht aus. Der Bass ist ansonsten schlichtweg nicht vorhanden. Das verspätete "Nachwuppen" des Bassreflexschalls ist zwar spektakulär aber erinnert immer wieder daran, dass man einen Lautsprecher hört, selbst bei sauber abgestimmter Bassreflex.

Die Graphik links zeigt die Impedanzkurve einer Bassreflexabstimmung. Gut zu erkennen sind die beiden typischen Überhöhungen, dazwischen befindet sich die Tuning-Frequenz des Systems.

Der Zeitverlauf (Cosinusburst) / Wasserfalldiagramm Frontansicht
BR-Imp.-Zeit cos.10-300 Hz Front.jpg

Der Zeitverlauf / Rückansicht
BR-Imp.-Zeit cos.10-300 Hz Back.jpg

=== Einschwingen eines Mehrwege-Lautsprechers ===

Step N-.jpg

Links ist ein aktuelles Beispiel eines Digital-LS aus sehr renommierten Hause. Die Buckel / Wellen ab 20,5 ms sind auf erste Reflexionen zurückzuführen.
Relevant für die obige Betrachtung ist der Bereich von ≈ 18,5 bis ≈ 20,5 ms. Auch wenn man die Schallanteile der negativen Vorschwinger zeitlich und in Amplitude richtig addieren würde, würde der Lautsprecher dennoch ein Plateau ausbilden, bis der Druck aufgrund des Hochpasses nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Der Lautsprecher ist auf einen linearphasigen Übertragungsbereich hin optimiert und erreicht dieses Ziel über eine Spanne von ca. 1 ms.

Sinus N 1.000 Hz.jpg

Die Wiedergabe eines 1.000 Hz Sinus (1 Periode) sieht wie folgt aus.
Abgesehen vom negativen Vorschwinger und dem zu frühen Ende der zweiten Halbwelle (das System ist überdämpft), bildet der Lautsprecher zwei Halbwellen gleicher Amplitude und Dauer aus. Das ist typisch für eine korrekte Anpassung an die Luft.

Sinus N 100 Hz.jpg

Bei 100 Hz ist dieses Verhalten aber schon lange vorbei. Die erste Halbwelle hat nicht die volle Amplitude und nicht die volle Zeitdauer. Der Lautsprecher verhält sich wieder wie ein typische Minimalphasen-System mit entsprechend abfallender Sprungantwort.

Nebenbei bemerkt sind auch hier wieder sehr merkwürdige digitale Artefakte zu sehen: In den Halbwellen gibt es gerade Abschnitte. Ob das Fehler bei der Berechnung oder grundsätzliche Probleme bei dem Versuch einer linearen Gruppenlaufzeit sind, ist noch ungeklärt.

Was kann man technisch korrigieren?

Digital...
lässt sich zwar die Gruppenlaufzeit entzerren, jedoch bleibt stets das Problem der fehlenden Amplitude im Einschwingen - in dem Zeitraum, wo der Strahlungswiderstandsverlauf die Rahmenbedingungen setzt, bevor der Resonanzfall eintritt. Eine Gruppenlaufzeitkorrektur allein bringt noch keine richtige Signalwandlung! Denn das Signal beinhaltet eine Folge von Druckschwankungen (Druckwerten). Der Gruppenlaufzeitfehler entsteht durch den durch die physikalischen Gesetzmäßigkeiten unvollkommenen Einschwingvorgang. Die erste Halbwelle wird von Basslautsprechern nicht vollständig ausgebildet, d.h. der erste Nulldurchgang erfolgt deutlich vor 180 Grad. Der Bass ist voreilend! Filter verzögern mit zunehmender Ordnung verstärkt im Bereich des Tiefpasses. Darin enthalten ist ein deutlicher Amplitudenfehler. Das richtige Wandeln in den Grenzbereichen des Übertragungssystems, die richtigen Zeit-Amplitudenbeziehungen zu erreichen, ist physikalisch jedoch unmöglich. Wollte man den Druck-Zeit-Fehler des Einschwingvorgangs korrigieren, würde man den Systemen derart viel Energie in den Einschwingvorgang schieben müssen, dass die Chassis zerstört würden bzw. der Bass eine extreme Auslenkung quer durch das Zimmer machen würde. Und selbst das würde nicht helfen.

Digital-LS sinus 40Hz.jpg

Ein weiteres Problem zeigt die folgende Messung eines Tieftöners, der bei 40 Hz (Sinus) einschwingt. Eine Chassisregelung erfordert zunächst die Erfassung einer bestimmten Datenmenge, um überhaupt Mathematik anwenden zu können. Die digitale Regelung setzt entsprechend verzögert ein. Sie erkennt nach einer bestimmten Zeit die Abweichung des Ist vom Soll, setzt ein und regelt nach. Allerdings findet der Vorgang sichtbar abrupt statt und beinhaltet somit (Spektralanalyse) deutlich höhere Frequenzen.
Dieser Sprung klingt wie ein auf das Basssignal aufgesetztes Anschlaggeräusch, das es beim Originalinstrument gar nicht gab. Ohne Regelung ist so ein Fehler hingegen ausgeschlossen. Im eingeschwungenen Zustand folgt der Lautsprecher wie auf Schienen dem Signal (das tut ein Chassis mit exzellentem Antrieb aber auch ohne Regelung), aber im Einschwingen erzeugt er einen heftigen Sprung.

Was bleibt, ist die praxisgerechte, von jedem individuell zu bestimmende maximale Größe der Membranfläche und der erforderlichen Konstruktion. Für diese individuellen Anforderungen müssen Lautsprecher in entsprechenden, immer begrenzten Größen entwickelt werden. Und diese sollen innerhalb des physikalisch möglichen Übertragungsbereichs möglichst richtig wandeln.

Regelung per analogem Sensor
Am unteren Übertragungsende eines Chassis, wo zumindest eine steife Membran als Einheit schwingt, lassen sich Abweichungen vom Soll induktiv nachvollziehen. Das ist grundsätzlich die Chance für eine Regelung mit induktivem Detektor. Aber genau in diesem Übertragungsbereich wirkt ein Problem, das sich nur sehr eingeschränkt regeln lässt, und zwar der durch den Strahlungswiderstandverlauf zu tiefen Frequenzen zunehmende Blindanteil. Dies zeigt sich besonders gut beim Messen mit Sinusbursts. Im eingeschwungenen Zustand nehmen die Bursts mit abnehmender Frequenz in der Amplitudenhöhe ab. Das entspricht auch den Frequenzgangmessungen. Die Einschwingvorgänge zeigen mit abnehmender Frequenz nicht nur eine nachlassende Amplitude, sondern zudem vorzeitige Nulldurchgänge, die voreilende Phase. Äquivalent zur Frequenzbetrachtung enthalten sie als tiefstmögliche Welle eine Frequenz, die viel höher liegt als die Anregungsfrequenz. Wollte man gegenregeln, so würde man das Chassis massiv überlasten (weil fast nur Blindanteil). Dies ist ein physikalisch sinnloses Unterfangen.

Ähnlich problematisch zeigt sich die Korrektur von raumbedingten Auslöschungen. Eine Regelung bringt am unteren Übertragungsende Vorteile, besonders im eingeschwungenen Zustand. Der eingeschwungenen Zustand unterliegt jedoch im Bass vollständig der Raumresonanzproblematik, mit all den Wirkungen und Einschränkungen beim Versuch der Korrektur. Direkt membrangeregelte Bässe ignorieren Ändernungen im Strahlungswiderstand des Raumes und regen daher Moden stärker an als ungeregelte Lautsprecher oder auch mikrophon-geregelte. Denn der geregelte Lautsprecher wirkt nicht als "weiche Bassfalle", sonder als "harte Wand" bezüglich jeder externen Anregung der Membran, die eben nicht gelingt. Allerdings ist der Unterschied zu ungeregelten Lautsprechern nur gering, da eine extreme akustische Fehlanpassung herrscht.
Bei Konustreibern gibt es kaum einen Effekt, sondern nur mit Flächenstrahlern, also Systemen ohne interne Gegenkopplung im Gehäuse (extrem wenig erzeugte Mikrofoniespannung) und sehr geringer Masse und großer Fläche (und wenig Hub), damit sehr niedriger Resonanzgüte und (relativ) hoher akustischer Anpassung.

Im Bass müsste man unbedingt den Raum mitkorrigieren, sonst macht es keinen Sinn. Das ist aber nur sehr eingeschränkt möglich, und wenn - für welchen Platz im Raum? Zudem bewirken Raumresonanzen leicht 10 dB Amplitudenschwankungen. Das ist mächtig gegenüber der Wirkung einer Regelung. Der Detektor muss sich also am Hörplatz befinden!

Im mittleren und besonders im oberen Übertragungsbereich eines Chassis sind die vielfältigen Resonanzerscheinungen (Membranresonanzen, Resonanzen des bzw. mit dem Spider und mit der Randaufhängung usw.) nicht mehr induktiv erfassbar. Die Resonanzen wirken mit ihrer Bewegungsenergie nicht mehr eindeutig auf das Antriebssystem. Eine Regelung ist also im größten Teil des Übertragungsbereichs nicht mehr sinnvoll möglich. Da funktioniert eine Steuerung besser.

Amur.jpg
Myro Amur C Karamell


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