Warum gibt es keine impulsrichtigen Lautsprecher mit hohem Wirkungsgrad?

Was sagt der Wirkungsgrad aus?

Ein nominal hoher Wirkungsgrad bei Kleinsignalanregung besitzt keine Aussage. Oftmals wird ein besonders hoher Wirkungsgrad bei einer besonders günstigen Frequenz angegeben. Der Kennschalldruck definiert den mittleren Schalldruck jedoch im Mitteltonbereich. Ein Lautsprecher mit hohem Kennschalldruck kann also durchaus einen niedrigen ("Kenn-")Schalldruck im Bassbereich oder im Hochtonbereich haben. Die Angabe gilt demnach nicht für die gesamte Bandbreite, insbesondere nicht für den Tiefton, ist irreführend und ermöglicht keinen Vergleich von Lautsprechern ohne die Berücksichtigung weiterer Parameter. Chassis mit hohem Wirkungsgrad haben diesen zum Beispiel oftmals durch Verwendung einer kurzen Schwingspule und leichter Papiermembranen. Der maximal erzielbare Schalldruck leidet darunter. Zudem spielt die Linearität des Magnetfeldes (B-Feld) eine entscheidende Rolle und auch die Linearität der bewegten Teile. Dies führt zu nichtlinearem Hub mit starken Verzerrungen und membranbedingt zu frühzeitig ungleichmäßigem Abfall der dynamischen Phase.

Zeitrichtige Lautsprecher sind wegen der hohen Impulsamplituden lauter als andere vergleichbare Lautsprecher. Musik ist ein dynamisches Ereignis. Für das Lautstärkeempfinden sind die Transienten (Einschwingvorgänge) von besonderer Bedeutung. Die Nervenaktivität des Hörsinns ist bezogen auf die Transienten stark erhöht und der Hörsinn hat dabei seine höchste Empfindlichkeit. Lautsprechermessungen sollten dies berücksichtigen, erfolgen aber in der Regel im eingeschwungenen Zustand. Das begründet, warum zwei unterschiedliche Lautsprechermodelle mit zum Beispiel gleichem Kennschalldruck, mit Musik angeregt, durchaus unterschiedlich laut wiedergeben können. Eine zeitrichtige Summenbildung klingt aufgrund der höheren Impulsamplituden lauter als eine nicht zeitrichtige bei ansonsten gleichem Wirkungsgrad im eingeschwungenen Zustand.

Einen Hinweis darauf liefert die Sprungantwort beider Modelle. Wenn die Konstruktion dabei nicht zeitrichtig funktioniert, verschenkt man Energie in den Impulsspitzen, den Transienten. Das Modell mit der korrekten Sprungantwort bietet mehr Energie pro Zeit, summiert richtig, erzeugt deutlich höhere Amplituden im Einschwingvorgang, ist somit lauter und effizienter. Modelle mit fehlerhaften Sprungantworten strecken den Energiegehalt über die Zeit und schaffen dabei nicht mehr die möglichen Maximalamplituden im Einschwingvorgang. Der "impulsdynamische Wirkungsgrad" sinkt damit. Die Impulse / Transienten sind aber die lautesten Ereignisse in der Musik!

Die Angabe des Kennschalldrucks gibt also keine verlässliche Auskunft über die Effizienz eines Lautsprechers. Erst im Zusammenhang mit dynamischen Messungen kommt man der Wahrheit näher.

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Myro Amur C

Der Hochton

Im Hochtonbereich (Grenzfrequenz 20 kHz) wird man ohne eine parasitäre Membranresonanz kaum über 90 dB/Wm kommen. Eine Resonanz ist aber kein (sinnvoll) nutzbarer Schalldruck, sie ist der denkbar schlechteste Bereich (langsames Ausschwingen, Phasendrehung, hoher Klirr). Wenn die Membranresonanz zum Beispiel bei 20 kHz liegt und wenig bedämpft ist, dann surrt der Hochtöner oben stark und schafft im Bereich der Resonanzspitze vielleicht 95 dB/Wm. Aber welcher audiophile Hörer möchte sich eine solche Konstruktion anhören? Darf darum schon bei 15 kHz Schluss sein? Zudem steht der durch Resonanz abgedeckte Frequenzbereich für die Impulswiedergabe nicht zur Verfügung.
Abhilfe schafft mitunter - auch im Mitteltonbereich - der Einsatz von Hornlautsprechern. Dies führt jedoch zu starken Phasendrehungen an den Übertragungsenden.

Mittel- und oberer Tiefton

Wenn man einen Lautsprecher so konstruiert, dass er ein Bandpass mit weniger Bandbreite ist, dann erhöht man sozusagen die Güte und bekommt einen Mittenbuckel. Das heißt, der Schalldruckpegel in den Mitten steigt, an den Übertragungsenden sinkt er. So kann man im mittleren Übertragungsbereich auf weit mehr als 90 dB/1Wm kommen. Das gilt im Prinzip für jedes einzelne Chassis. Durch eine Mehrwegekonstruktion mit schmalbandigen Einzelchassis kann man den Kennschalldruck in den von den Chassis abgedeckten Übertragungsbereichen erhöhen. Die Problematik der Grenzbereiche bleibt jedoch.

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Myro La Musica 2005

Der Tiefton

Oftmals verzichten Konzepte mit hohem Wirkungsgrad auf Bandbreite. Damit kommt es zu frühen, steilen Phasendrehungen. Wenn sie nicht auf Bandbreite verzichten und mehr als den Tiefgang einer kleinen Regalbox erreichen sollen, dann benötigen sie zwingend einen großdimensionierten Bass, denn die abgestrahlte Schalleistung hängt mit dem Strahlungswiderstand zusammen und dieser ist abhängig von der Membranfläche. (Auch die Strahlungsimpedanz ist neben vielen anderen Eigenschaften in der Sprungantwort zu sehen.) Die akustische Leistung ist außerdem abhängig von der Membrangeschwindigkeit, also abhängig von der Frequenz und von der Güte der Resonanz des schwingenden Systems. Der Wirkungsgrad korreliert aber nicht ausschließlich mit der Membrangröße, denn Voraussetzung für einen hohen Wirkungsgrad sind bei sinnvoller Auslegung der Chassisparameter eine große Membranfläche und geringe bewegte Masse. Ein starker Antrieb erhöht im wesentlichen den Wirkungsgrad im Mitteltonbereich. Eine große Membran und eine geringe bewegte Masse führt zu einem großen Äquivalentvolumen (VAS) und damit zu großen Gehäusevolumen. Große Membranen mit geringer Masse sind tendenziell aber instabil und weisen Übertragungseigenschaften auf, die das Erreichen der anderen gesteckten Ziele erschweren oder unmöglich machen, z.B. die Auslegung der impulsrichtigen Filter. Zudem erfordert der Tiefbass bei deutlich über 90 dB/Wm ein Resonanzsystem (Bassreflex oder anderes). Macht man die Membran leicht (dünn und z.B. aus Pappe), dann schwingt sie nicht wirksam mit ihrer ganzen Größe, sondern bricht in Partialschwingungen auf. Eine leichte Membran stabil hinzubekommen, ist praktisch unmöglich. Die Folge sind völlig unkontrollierte Membranschwingungen, deren Interferenzen gegenphasige Schallwellen erzeugen und im Zusammenspiel mit anderen Chassis interagieren, bis hin zu Auslöschungen. Das widerspricht zudem einem hohen Wirkungsgrad. Es ist nicht die Zielstellung, ein beliebiges Schallgemisch zu erzeugen, bestehend aus Resonanzen, um möglichst viel Pegel zu erzeugen. Dies widerspricht zudem der Forderung nach einer präzisen Wiedergabe.
Ein kleinerer, aber stabiler Bass kann dann unter Umständen einen Bass lauter wiedergeben. Tiefbass und Wirkungsgrad zusammen erreichen zu wollen, ist noch viel schwieriger. Daher werden die Lautsprecher mit "hohem Wirkungsgrad" im Bass hoch abgestimmt (Bassreflex / Hochpassfilter). Eine relativ hoch abgestimmte Bassreflex hat aber eine ungünstige Gruppenlaufzeit und eine entsprechend starke Phasendrehung im Hochpass. Das heißt: Die Signale werden auf der Zeitebene stärker verschoben. Hilfreich dabei ist, dass der Schallanteil unter 50 Hz in der Musik bei verschwindend geringen Prozentsätzen liegt. Wenn ein Lautsprecher daher z.B. 95% des Geschehens erstklassig wandelt, dann ist schon viel erreicht.

Vorteil: Große Membranflächen sind in Bezug auf die Strahlungsimpedanz günstiger. Das bewirkt eine bessere Bassattacke (besseres Einschwingen). Die erste Halbwelle einer großen Membran ist in Relation zu den nachfolgenden Halbwellen in der Regel deutlich lauter und entspricht eher der Anregungsfrequenz als bei kleinen Membranen. Demzufolge verläuft der Graph der Sprungantwort ab der Startflanke flacher! Die Schnelligkeit ist dabei der günstigeren Strahlungsimpedanz geschuldet, aber nicht dem hohen Wirkungsgrad. Einen hohen Wirkungsgrad im Bassbereich mit gleichzeitig hoher Qualität kann man aus physikalischen Gründen nur mit einem großen Aufwand hinbekommen. Dazu braucht man vor allem eine große wirksame Membranfläche und ein entsprechend großes resonanzarmes Volumen mit stabilen Wandungen (wir sind hier im Bereich des Waschmaschinen-Formats) oder ein gigantisches Basshorn. Aber nicht jeder große Bass hat eine große wirksame Membranfläche!

Bei "Hochwirkungsgrad-Lautsprechern" nimmt man also gezwungenermaßen unzählige, typische Fehler in Kauf. Hohe Belastbarkeit wird zudem durch steilflankige Filter ermöglicht. Diese vernichten jedoch die hohen Impulsamplituden und verzerren die Signalstrukturen. Daraus resultiert insgesamt der typische PA-Sound, der von derart gewöhnten Menschen mit "Live-Sound" assoziiert wird. Einen PA-Sound ohne diese Fehler gibt es praktisch nicht - denn dann wäre es kein PA-Sound mehr!

Vereinfacht kann man folgendes Fazit ziehen (linearer Frequenzverlauf vorausgesetzt):

  • Eine große Übertragungsbandbreite, also hoher Wirkungsgrad im Tiefbass und im oberen Hochtonbereich, verlangt einen angepassten, relativ niedrigen Pegel im Mitteltonbereich.
  • Eine geringe Übertragungsbandbreite ermöglicht einen höheren Kennschalldruck im Mitteltonbereich.



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